Den Jugendlichen von heute einen umfangreichen Einblick in ihre beruflichen Möglichkeiten zu bieten, ist eine Herausforderung, vor der viele Lehrkräfte stehen. In diesem Beitrag möchten wir anhand ausgewählter Spiele das Potenzial von Serious Games für die Berufsorientierung unter Berücksichtigung der Genderproblematik beleuchten.
Die heranwachsende Generation, die auch als „digital Natives“ bezeichnet wird, wächst in einem Zeitalter auf, in dem die Nutzung von Computern und anderen technischen Geräten zum Alltag gehört. Auch in Lehr-Lern-Kontexten erlangen digitale Medien immer mehr an Bedeutung. Die Mehrheit der Schülerinnen und Schüler ist der Meinung, dass digitale Medien den Unterricht interessanter machen und zum besseren Verständnis des Unterrichtsstoffs beitragen. Auch 95 Prozent der Lehrkräfte sind offen gegenüber der Nutzung digitaler Medien im Unterricht (BITCOM 2015).
Diskutiert wird unter anderem der Einsatz von Computerspielen im Unterricht. Es besteht die Hoffnung, den Spaß und die Motivation, die Kinder und Jugendliche in ihrer Freizeit beim Computerspielen haben, für den Erwerb von Wissen nutzen zu können. An dieser Stelle rücken Serious Games in den Fokus. Es ist schwierig eine einheitliche Definition von Serious Games zu finden, da es eine hohe Vielfalt an Spielen und Anwendungsgebieten gibt, die diesem Genre zugeordnet werden. Wir verstehen Serious Games im Serena Projekt als digitale Spiele, die mehr sein sollen als bloße Unterhaltung. Sie sollen den Spielerinnen und Spielern bedeutsame Inhalte, Wissen, Fähigkeiten oder Einstellungen vermitteln, ohne dass dabei der Spielspaß verloren geht. Mittlerweile ist nicht nur belegt, dass Serious Games genauso gut sind wie andere Lernformen, sondern auch, dass die Lernenden durch sie motivierter sind und sich intensiver mit den Lerninhalten befassen (Egenfeldt-Nielsen 2013).
Serious Games Überblick
Anderes als bei Entertainment-Spielen ist es nicht so einfach, einen Überblick über Serious Games zu gewinnen. Für kommerziell vertriebene Spiele gibt es unter anderem Bestellportale oder Internetseiten, die eine große Anzahl an neu erschienen und alt bekannten Spiele sammeln, kommentieren und bewerten. Bei Serious Games ist es weitaus schwieriger, eine umfangreiche Liste zu finden. Auf den Internetseiten seriousgames.de und spielbar.de sowie regionalen Portalen wie Spieleratgeber NRW und Landesmedienzentrum Baden-Württemberg finden sich Sammlungen von Serious Games. Diese umfassen allerdings mit maximal 70 Spielen eine nicht allzu große Zahl an Serious Games und es gibt nur wenige Überschneidungen. Es ist nicht davon auszugehen, dass es sich dabei um ausschöpfende Auflistungen handelt, denn andere Quellen verweisen auf über 600 Serious Games, die weltweit allein zwischen 1997 und 2007 entwickelt wurden (Ratan und Ritterfeld 2009).
Um sich einen Überblick über Serious Games zu verschaffen, ist es daher einfacher, die sehr vielfältigen Serious Games in Kategorien zu unterteilen. Wie bei Entertainment-Spielen kann beispielsweise nach Spielarten – z.B. Abenteuerspiele, Simulation, Strategiespiele und andere – unterschieden werden (Lampert et al. 2009) oder auch nach Handlungsfeldern, in die das Serious Game eingebettet ist. Hier sind die häufigsten Kategorien der schulische Kontext, die gesellschaftliche Relevanz und die berufliche Weiterbildung (Lampert et al. 2009). Demnach wären Serious Games zur beruflichen Orientierung der Kategorie schulischer Kontext zuzuordnen.
Berufsorientierung mit TechForce, Sitcom und MINT-Land
Neben den Schulen haben auch Berufsgruppen und Anbieter beruflicher Weiterbildungen ein Interesse an der Entwicklung von Serious Games zur Berufsorientierung. So wurde unter anderem das mehrfach ausgezeichnete Serious Game TechForce für den Arbeitgeberverband Gesamtmetall entwickelt. Ziel des Spiels ist es, in einem interdisziplinären Team ein Fluggerät zu bauen und nebenbei die eigene fachliche Eignung für Metall- und Elektroberufe zu bewerten (Unger 2013). Das Spiel ermöglicht zwar die Wahl zwischen männlichen und weiblichen Charakteren, spricht aber eher Jugendliche an, die schon ein Interesse an Technik mitbringen (Unger 2013). Es ist nicht dafür gestaltet, speziell Mädchen, die aufgrund der gesellschaftlichen Sozialisation häufig weniger Technik affin sind, für diese Berufe zu gewinnen. Mehr Informationen dazu, wie Mädchen für Technik motiviert werden können, finden Sie hier.
Besonders für die Berufsorientierung in Bereichen, in denen Mädchen unterrepräsentiert sind, wie Naturwissenschaften und Technik, können Serious Games sehr hilfreich sein. Obwohl Mädchen insgesamt eine positivere Einstellung gegenüber edukativen Spielen haben (Hoblitz 2015) und sie durch sie mindestens genauso gut lernen und motiviert werden können wie Jungen (Papastergiou 2009), gibt es bislang nur wenige Serious Games, die speziell Mädchen in ihrer Berufswahl unterstützen. Auch konnte Hoblitz (2015) in einer wissenschaftlichen Erhebung aufzeigen, dass Serious Games die intrinsische Motivation der Mädchen an naturwissenschaftlichen Themen wecken. Beispiele für Serious Games, die speziell Mädchen ansprechen, um sie für naturwissenschaftliche und technische Berufe zu begeistern, sind unter anderem das Browserspiel Sitcom der Donau-Universität Krems und das Spiel MINT-Land der ETH Zürich.
Sitcom steht für „Simulation IT-Careers for wOMen“ und wurde im Rahmen eines EU finanzierten Projekts entwickelt. Ziel des Spiels ist es, mit Hilfe von Simulationen und interaktiven Spielen Mädchen im Alter von 12 bis 16 Jahren für technische oder (natur-) wissenschaftliche Berufe, wie Umwelttechnikerin, Mathematikprofessorin oder IT-Projektmanagerin zu interessieren. Das zentrale Element der Internetplattform ist ein Karrieresimulationsspiel, das den Mädchen ermöglicht, den Arbeitsalltag einer Frau in einem der Berufe zu begleiten und berufstypische Aufgaben zu lösen. Die Spielerinnen sollen dadurch einen Einblick in die Berufe und berufstypische Biografien bekommen und bei der Berufswahl unterstützt werden. Sitcom bietet vor allem einen Einblick in Studienberufe.
Das Spiel MINT Land möchte das Interesse der Spielerinnen für naturwissenschaftlich-technologische Fragestellungen wecken und ihnen die Alltagsrelevanz von MINT Fächern (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik) verdeutlichen. In verschiedenen Mini-Games können sich die Spielerinnen mit physikalischen Prinzipien befassen. Hierzu werden auch Beispiele aus dem Bereich Erneuerbare Energien wie Windkraftanlagen oder Solarpanel genutzt. Eingebettet sind die Mini-Games in eine Geschichte über ein Mädchen, das auf einer Insel gestrandet ist und Energiesterne sammeln muss, um mit ihrem Schiff die Insel wieder verlassen zu können. Zwar ist MINT Land nicht in erster Linie zur Berufsorientierung gedacht, verfolgt aber wie viele Initiativen in diesem Feld das langfristige Ziel, mehr Mädchen zu einer Studienwahl im Bereich der MINT Fächer zu motivieren.
Genderaspekte im Serena Game
Mädchen spielerisch und anwendungsorientiert mit technischen und naturwissenschaftlichen Themen zu konfrontieren und sie dadurch zu einer Berufswahl in diesen Bereichen zu motivieren, ist auch das Ziel unseres Forschungsvorhabens Serena. Anders als die zwei beschriebenen Serious Games thematisiert das Serena Game jedoch keine Studienberufe, sondern gewerblich-technische Ausbildungsberufe im Arbeitsfeld Erneuerbare Energien.
Um das Spiel besonders für Mädchen interessant zu machen, wird eng mit der Zielgruppe zusammengearbeitet. Ein besonderer Wert wird auf eine ansprechende Spielstory gelegt. In zwei Schülerinnenworkshops wurden Storyelemente entwickelt und grafische Präferenzen diskutiert. Zusätzlich wurden Informationen darüber gesammelt, was den Mädchen bei der Berufsauswahl wichtig ist. Auf diese Weise wollen wir sicherstellen, dass der Spielplot die Mädchen anspricht und sie intrinsisch motiviert sind, das Spiel zu spielen. Die Aufgaben werden in den Spielablauf integriert, ohne die technischen Anforderungen besonders stark zu betonen. Eine wichtige Rolle spielt die Gestaltung des Feedbacks, das in die Spielhandlung integriert wird. Durch das Feedback sollen die Mädchen bei der Bewältigung der Aufgaben unterstützt werden und am Ende des Spiels eine positive Rückmeldung über ihre technischen Fähigkeiten erhalten.
Literatur
BITKOM (2015). Digitale Schule – vernetztes Lernen Ergebnisse repräsentativer Schüler- und Lehrerbefragungen zum Einsatz digitaler Medien im Schulunterricht. Download
Egenfeldt-Nielsen, S. (2013). Die ersten zehn Jahre der Serious Games-Bewegung. Zehn Lektionen. In G.S. Freyermuth, L. Gotto, & F. Wallenfels (Hrsg.), Serious Games Exergames Exerlearning. Bild und Bit Studien zur digitalen Medienkultur Band 2 (S.145-164). Bielefeld: transcript Verlag.
Hoblitz, A. (2015). Spielend Lernen im Flow: Die motivationale Wirkung von Serious Games im Schulunterricht. Wiesbaden: Springer Fachmedien.
Lampert, C., Schwinge, C., & Tolks, D. (2009). Der gespielte Ernst des Lebens: Bestandsaufnahme und Potenziale von Serious Games (for Health). Medien Pädagogik-Zeitschrift für Theorie und Praxis der Medienbildung, 15/16.
Papastergiou, M. (2009). Digital game-based learning in high school computer science education: Impact on educational effectiveness and student motivation. Computers & Education, 52(1), 1-12.
Ritterfeld, U., Cody, M., & Vorderer, P. (2009). Serious games: Mechanisms and effects. New York: Routledge.
Unger, T. (2013). Berufliche Orientierungsangebote für Jugendliche in der Metall-und Elektroindustrie: „Techforce “, „ExperiMINTe “und „Ichhabpower. de “. In J. Diercks & K. Kupka (Hrsg.), Recrutainment (S. 85-94). Wiesbaden: Springer Fachmedien.