Mädchen für technische Berufe zu begeistern ist nicht nur das Ziel des Forschungsprojekts Serena. Auch einige andere Maßnahmen wie girlsatec, Technikqueens, EnterTechnik oder allen voran die MINT-Kampagne Komm-Mach-MINT möchten Mädchen für einen Berufsbereich motivieren, dem sie (bislang) eher fern bleiben. Es stellt sich nun die Frage, wie Berufsprofile über digitale Medien gendersensibel vermittelt werden können, so dass sie Mädchen motivieren, einen technischen Beruf zu ergreifen? Sollten technische Inhalte nun alle rosa sein? Oder gerade nicht rosa? Sollten Mädchen über bestimmte Themen an technische Berufe herangeführt werden, wie Mode, Umweltschutz oder Gesundheit?
Mädchen sind sowohl in den gewerblich-technischen Ausbildungsberufen als auch in technischen Studiengängen stark unterrepräsentiert (BIBB 2015; Statistisches Bundesamt 2015). Als eine der möglichen Ursachen wird diskutiert, dass Technik von der Gesellschaft eher mit männlichen als mit weiblichen Attributen wahrgenommen wird (Blossfeld 2009) und Mädchen sich diese Berufe nicht zuschreiben. Gleichzeitig würden sich Mädchen weniger für Technik interessieren, weil sie Technik als etwas Abstraktes, fern von ihrem Alltag erleben (Prenzel et al. 2009; Pfenning et al. 2002). Pfenning et al. (2011) beschreibt eine strukturelle und individuelle Diskriminierung von Mädchen in technischen Berufen. So müssten sich Mädchen nicht nur gegen Vorurteile, wie etwa „Technik sei Männersache“, behaupten, sondern auch ihre technischen Fähigkeiten in einem von Männern dominierten Arbeitsfeld stärker unter Beweis stellen als ihre männlichen Kollegen. Das erfordert ein starkes Selbstbewusstsein.
Nicht nur in Fachkreisen der Berufsorientierung, sondern auch in sozialen Netzwerken wie pinkstinks.de wird diskutiert, wie Mädchen über Medieninhalte erfolgreich angesprochen werden können, ohne sie zu diskriminieren. Schließlich sollen Mädchen nicht den Eindruck gewinnen, dass bei ihnen ein Defizit vorliegt, wenn sie keinen technischen Beruf ergreifen, sondern ihnen soll vermittelt werden, dass technische Berufe
- Spaß machen können,
- Mädchen dafür ebenso qualifiziert sind wie Jungen und
- sie dort attraktive Rahmenbedingungen vorfinden, wie zum Beispiel ein hohes Einkommen, abwechslungsreiche Tätigkeiten oder flexible Arbeitszeitmodelle (zum Beispiel Deutscher Gewerkschaftsbund 2015).
Ein Blick in die Studienlandschaft zeigt, dass Mädchen sehr wohl ein Interesse für Technik haben, wenn bestimmte Themen angesprochen werden. Zum Beispiel weist der ingenieurwissenschaftliche Studiengang Textil- und Bekleidungstechnik einen Frauenanteil von 90 Prozent auf und auch im Studienfach Umwelttechnik sind Studentinnen mit 40 Prozent relativ stark vertreten. Es spricht also vieles dafür, Nachhaltigkeitsbezüge für Mädchen sichtbar zu machen, um die Attraktivität technischer Berufe zu steigern (siehe auch die Blogbeiträge Erneuerbare Energien als attraktives Arbeitsfeld und Nachhaltigkeit als Anreiz für die Berufsorientierung von Mädchen im Bereich Technik).
Da ein Bestandteil des Forschungsprojektes Serena die Einbindung von Mädchen in die Spielentwicklung ist, haben wir die zielgruppengerechte Ansprache von Mädchen für unsere Zwecke genauer untersucht. Neben einer qualitativen Auswertung von Literatur, einer Online-Umfrage (55 Teilnehmerinnen) und zwei Schülerinnenworkshops (43 Schülerinnen aus Ost- und Westdeutschland) erfolgte eine Befragung von sieben Expertinnen und Experten aus unterschiedlichen Berufsorientierungsangeboten zur Ansprache von Mädchen über soziale Medien.
Als ein Ergebnis konnte festgehalten werden, dass sich zur digitalen Form der Ansprache besonders audio-visuelle Medien eignen. Über 50 Prozent der befragten Mädchen nannten einen Youtube-Kanal als ihre Lieblingswebseite. Die qualitative Auswertung der Schülerinnenworkshops zeigte, dass die Mädchen sich sehr stark damit beschäftigen, was „ihre“ Youtuberinnen und Youtuber gerade erleben und welche Informationen sie von sich preisgeben. Authentizität stand dabei deutlich vor Promifaktor, es ist also besser Handwerkerinnen von ihrem Arbeitsalltag berichten zu lassen, als Popstars einen Schraubenschlüssel in die Hand zu drücken. Dabei dürfen Role Models gerne auch von negativen Erfahrungen berichten, am besten mit einem Tipp dazu, wie sie damit umgegangen sind und was sie verändern konnten. Facebook hingehen verliert in der Zielgruppe an Relevanz. Die befragten Mädchen nutzen neben Youtube außerdem Kommunikationsmedien wie Instagram, SnapChat oder WhatsApp. Von den Interviewpartnerinnen und -partnern laufender Projekte wurde Facebook wiederum als der Kanal genannt, der sich besonders für die Ansprache von Multiplikatorinnen und Multiplikatoren eignen würde.
Als ein weiteres Ergebnis kann festgehalten werden, dass ein starkes Hervorheben des Geschlechts („Angebot extra für Mädchen“), bei Mädchen eher auf Ablehnung stößt, da dies auf sie so wirkt, als würde ein Defizit in den Vordergrund gestellt. Mädchen wollen gar nicht gesondert angesprochen werden. An diesem Punkt allerdings unterscheiden sich die Meinungen der befragten Interviewpartnerinnen und -partner. Während einige Berufsorientierungsanbieter es kritisch sehen, das Geschlecht zu betonen, sehen wiederum andere darin eine Chance, den Mädchen klar zu kommunizieren, dass sich das Angebot speziell an sie richtet.
Ein eindeutiges No-Go bei der Ansprache von Mädchen sei eine verniedlichende grafische Aufbereitung der Inhalte. Bilder sind zwar sehr wichtig für die Ansprache von Mädchen, diese müssten aber den ästhetischen Vorstellungen der Mädchen entsprechen, um akzeptiert zu werden. Wichtig sei außerdem, dass die Themen an die Lebenswelt der Mädchen anknüpfen. Texte sollten gendersensibel formuliert und vor allem die rein maskuline Form vermieden werden.
Hier unsere Ergebnisse im Überblick:
- Weniger Facebook, mehr Youtube (oder äquivalente Portale)
- Texte von Mädchen schreiben lassen, die anschließend online veröffentlicht werden
- Authentische und transparente Kommunikation in allen Posts und dem Webauftritt
- Authentische Rollenmodelle aus dem Alltag, weniger Popstars, lieber näher dran am Leben der Mädchen
- Gendersensible, attraktive Bildsprache
- Übergeordneten Sinnauftrag von Technik kommunizieren
- Grafische Aufbereitung nicht verniedlichen
- Mädchen klar machen, dass der Bereich Technik für sie attraktive Jobs bietet
Unser Fazit: Die Erstellung eines projekteigenen Youtube-Kanals mit sehr persönlichen Video-Botschaften junger Frauen scheint erfolgversprechend, ist aber äußerst ressourcenintensiv. Soziale Netzwerke und Messengerdienste, wie SnapChat, WhatsApp oder Instagram werden zwar von der Zielgruppe stark genutzt, es handelt sich aber zum Teil um geschlossene Gruppen, in die Berufsorientierungsangebote schwer Zugang finden. Hier müsste noch stärker erprobt werden, inwiefern diese Messengerdienste erfolgreich in Berufsorientierungsangebote eingebunden werden können.
An die Zielgruppe adressierte Texte sollten am besten von den Mädchen selbst verfasst werden. Das Mädchenportal LizzyNet hat mit seinen Schreibwettbewerben oder auch mit seiner dauerhaften SchreibMit-Aktion beispielsweise gute Erfahrungen gesammelt. Besondere Beachtung sollte in jedem Fall der Themenwahl gewidmet werden. Auch wenn Schminktipps bei vielen Mädchen grundsätzlich hoch im Kurs stehen, was sich unter anderem am Erfolg von Youtube-Kanälen wie „Daaruum“ zeigt, empfehlen Genderexpertinnen diese Themen zu vermeiden, um Geschlechterstereotype nicht zu manifestieren.
Im Einzelnen sind das keine Neuigkeiten, sondern bestätigen zum Teil bereits erbrachte Forschungsergebnisse. Im Hinblick auf die Konzeption und Umsetzung von Berufsorientierungsangeboten für Mädchen im Bereich Technik können diese Ergebnisse allerdings sehr hilfreich sein und sollten Berücksichtigung finden, um Diskriminierungen zu vermeiden.
Literatur
Blossfeld, Hans-Peter; Bos, Wilfried; Hannover, Bettina; Lenzen, Dieter; Müller-Böling, Detlef; Prenzel, Manfred; Wößmann, Ludger (2009): Geschlechterdifferenzen im Bildungssystem. Jahresgutachten 2009. 1st ed. vbw – Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft e.V. München.
Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) (2015): Datensystem Auszubildende – Zeitreihen (DAZUBI). Bonn. Online unter https://www2.bibb.de/bibbtools/de/ssl/2235.php, zuletzt geprüft am 29.10.2015.
Deutscher Gewerkschaftsbund (2015): Frauen in nichtakademischen MINT-Berufen – Analyse ihrer Stellung am Arbeitsmarkt und ihre Arbeitsbedingungen. Sonderauswertung zum DGB-Index Gute Arbeit 2014. In arbeitsmarktaktuell (4), S.1-24. Online verfügbar unter: http://www.verdi-gute-arbeit.de/upload/m55475aac4a0e8_verweis1.pdf, zuletzt geprüft am 29.10.2015.
Pfenning, Uwe; Renn, Ortwin; Mack, Ulrich (2002): Zur Zukunft technischer und naturwissenschaftlicher Berufe. Strategien gegen den Nachwuchsmangel. Stuttgart: Akademie für Technikfolgenabschätzung in Baden-Württemberg (acatech).
Pfenning, Uwe; Renn, Ortwin; Heller, Sylvia (2011): Frauen für Technik – Technik für Frauen. Zur Attraktivität von Technik und technischen Berufen bei Mädchen und Frauen. In Wenka Wentzel, Sabine Mellies, Barbara Schwarze (Hrs.): Generations Girls´Day. Opladen, Berlin. Verlag Budrich, UniPress, S. 123-158.
Prenzel, Manfred; Reiss, Kristina; Hasselhorn, Marcus (2009): Förderung der Kompetenzen von Kindern und Jugendlichen. In Joachim Milberg (Hrs.): Förderung des Nachwuchses in Technik und Naturwissenschaft. Beiträge zu den zentralen Handlungsfeldern. Berlin [u.a.]: Springer, S.15-46.
Statistisches Bundesamt (Destatis) (2015): Bildung und Kultur. Studierende an Hochschulen. Fachserie 11 Reihe 4.1. Wiesbaden (Artikelnummer 2110410157004). Online verfügbar unter https://www.destatis.de/DE/Publikationen/Thematisch/BildungForschungKultur/Hochschulen/StudierendeHochschulenEndg2110410157004.pdf?__blob=publicationFile, zuletzt geprüft am 29.10.2015.